Leseprobe
Auszug aus Alleine zu Hause
[ ... ] Sonntagmorgen, neun Uhr. Und ich war schon wach. Auf ging’s zur Beauty‐Orgie! Nachdem ich mich ausgiebig gestreckt hatte, warf ich die Bettdecke zur Seite und schwang meine Beine aus dem Bett. Ein ganzer Tag nur für mich! Im Morgenmantel betrat ich die Küche und holte gleich mal den Rucola für Wilma und Fred aus dem Kühlschrank. Die beiden blickten mich
irritiert an. Sie hatten ja noch nicht einmal die Petersilie vom Vortag aufgefressen. Ich entsorgte die Reste, gab ihnen frisches Wasser und füllte den Napf mit Vogelfutter auf. Pflichtteil erfüllt.
Fröhlich pfeifend ließ ich eine Kanne Kaffee durchlaufen, goss mir eine Tasse ein, füllte den Rest des Kaffees in die Thermoskanne und setzte mich dann Richtung Badezimmer in Bewegung. Ich drehte den Wasserhahn auf, um mir ein Bad einzulassen, rasierte mir die Beine – man wusste ja nie, wozu es gut war – trug dann sorgfältig eine Schokoladenmaske auf mein Gesicht auf und ließ mich genüsslich ins heiße Wasser gleiten. Kaffeetasse und Buch standen in bequemer Reichweite, leise Musik erklang aus dem Radio und die Kerze erfüllte das Badezimmer mit einem sanften Vanilleduft. Der Moment war nahezu perfekt.
Dann klingelte es an der Wohnungstür.
Murphys Gesetz schlug wieder zu. Im unpassendsten Moment klingelte immer jemand an der Tür. Nur wenige Sekunden vorher hätte ich mir einfach den Bademantel übergezogen und wäre an die Tür gegangen, ohne eine Wasserspur quer durch den Flur zu hinterlassen. Liegenbleiben? Ohren auf Durchzug? Es klingelte ein zweites Mal. Ok, ich konnte das Klingeln an der Tür nicht einfach ignorieren. Es konnte ja auch etwas Wichtiges sein.
Vor der Tür stand unsere Nachbarin Frau Huber aus der ersten Etage. Wichtig sah eindeutig anders aus. Irritiert schaute sie auf die Schokoladenmaske in meinem Gesicht, fasste sich aber schnell wieder und teilte mir in bestimmendem Tonfall mit, dass sie es künftig nicht mehr
dulden würde, dass Alex ihr Fahrrad ständig im Hausflur abstellte. Als ob diese Information nicht auch bis nächste Woche hätte warten können. Ich schenkte Frau Huber das strahlendste Lächeln, dass die Schokomaske, die bereits anfing eine Kruste zu bilden, zuließ und versprach, Alex darauf hinzuweisen, sobald sie von ihrer kurzen Reise zurückgekehrt war.
»Gut so«, murmelte Frau Huber und ging. »Zicke«, dachte ich, und verdrehte die Augen. Dann machte ich mich auf den Weg zurück ins Bad. Mit einem wohligen Aufstöhnen ließ ich mich in das nun nicht mehr ganz so heiße Wasser gleiten, bewegte genüsslich die Zehen, trocknete mir die Hände ab und griff nach meinem Buch.
Es klingelte an der Wohnungstür.
Das war doch unfassbar! Die ganze Woche hatte niemand, noch nicht einmal der Postbote, an unserer Tür geklingelt, und jetzt gleich zum zweiten Mal innerhalb von nur wenigen Minuten. Genervt erhob ich mich aus der Wanne und streifte mir den feuchten Bademantel über. Zum Abwaschen der Schokomaske war ich ja leider noch nicht gekommen. Ich riss die Tür auf und
fand mich Herrn Petersen gegenüber, der mir freudestrahlend die Prospekte und Werbezeitungen entgegenstreckte, die zum Wochenende an alle Haushalte verteilt wurden. Erschrocken zuckte er zurück, als er mein braunes Gesicht erblickte, hielt mir aber dennoch beherzt den Papierstapel entgegen.
»Dankeschön!«, sagte ich im Tonfall eines Feldmarschalls beim Geländetraining, nahm die Prospekte entgegen und warf ihm die Wohnungstür vor der Nase zu. Die Werbung knallte ich auf das Schränkchen im Flur und machte mich auf den Weg zurück ins Bad. Ich machte mir nicht die Mühe, den Bademantel wieder ordentlich aufzuhängen, da er mit den Spuren der Schokomaske am Kragen ohnehin in die Wäsche musste. Das Wasser war mittlerweile kalt und ich zog angekekst den Stöpsel aus der Wanne. Da musste dringend neues Wasser rein. Ich wartete kurz,
trank meine Tasse leer, steckte den Stöpsel wieder rein und drehte den Wasserhahn auf. Es sprotzte kurz, dann kam kein Wasser mehr. "Was soll das denn jetzt?", entfuhr es mir.
Es klingelte an der Wohnungstür.
Verflixt und zugenäht! war der sanfteste Fluch, der mir über die Lippen kam. Ich schnappte mir erneut meinen Bademantel, der mittlerweile nicht nur nass, sondern auch eiskalt war, und ging zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit zur Wohnungstür. Dort wartete unser Hausmeister, Herr Kalubke. Nachdem er sprachlos auf die bröckelnde Schokomaske gestarrt hatte, teilte er mir mit, dass das Wasser aufgrund eines Wasserrohrbruchs für mindestens drei Stunden abgestellt werden musste. Mir fiel die Kinnlade herunter. Das konnte, das durfte doch wohl nicht wahr sein! Da plante ich ein einziges Mal einen Beauty‐Tag, und schon ging alles schief. Ich hätte heulen können! Wie sollte ich denn ohne Wasser die Schokomaske loswerden? Frustriert schloss ich die Wohnungstür und schlurfte in die Küche, um mir noch eine Tasse Kaffee einzuschenken. Den hatte ich ja Gott sei Dank bereits vor meinem Gang ins Bad gekocht und in eine Thermoskanne gefüllt. Ich saß also am Tisch und kratzte mir eingetrocknete Schokoladenreste aus dem Gesicht. Schöner hätte ich mir meinen Beauty‐Tag nicht ausmalen können, ehrlich. Das war der Gipfel der Unverschämtheit. Schlimmer konnte es ja wohl nicht kommen.
Es klingelte an der Wohnungstür.
Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wer oder was mich nun an der Wohnungstür erwartete. Freddy Krüger? Die Zeugen Jehovas? Graf Dracula? Aber nein, das wäre ja noch zu ertragen gewesen. Wie sagte Otto Waalkes so schön? Aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen. Ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer!
Vor mir stand Manfred!